Sichtweisen
Hier ein Ausschnitt zu lesen:
Er steckte die schmale Akte in seine Tasche und ging endgültig zum Fahrstuhl, der ihn in die Tiefgarage brachte. Im Wagen warf er die Tasche auf die Beifahrerseite und brauste mit quietschenden Reifen zur Ausfahrt. Der Wächter schüttelte den Kopf, als die Schranke sich hob und er mit Vollgas Richtung Stadtzentrum fuhr. Im Radio lief sein Lieblingsprogramm. Grußsendung am Nachmittag. Aus den Boxen schepperte gerade „Daddy Cool“. Er schmunzelte und wippte mit dem Becken im Schalensitz. Aber Frau Weber war in seinen Gedanken so präsent, dass er es kaum erwarten konnte, nach Hause zu kommen.
In seinem Arbeitszimmer begann er sofort durch Frau Webers Akte zu blättern.
Jahrgang 69, kein Kindergeldanspruch, Witwe … aus Bremen war sie nach Berlin gekommen, eingestellt März 2005.
2005, 2006, 2007, 2008, 2009 keinen Urlaub, nie krank …
Er ließ die Akte sinken und lachte verbittert in sich hinein. Die ist irre, war sein erster Gedanke. Uwe blätterte erneut, Lohngruppe IV, nicht schlecht, jeden Urlaubstag ausgezahlt bisher. Also das geht so nicht. Die Frau muss Urlaub machen. Das wollen wir doch mal sehen. Das werde ich durchsetzen.
Der Fahrgastzähler (Ausshnitt)
Da thronte er, auf dem Schoß die Aktentasche. Im Innern gluckste bei jeder Bodendelle der Kaffee in der Thermoskanne. An den Endhaltepunkten trank er diese lauwarme Brühe. Wenn der Busfahrer zugänglich war, unterhielt er sich mit ihm, während er das neue Erfassungsblatt für die nächste Streckenführung auf dem Klemmboard zurechtrückte.
Fahrgastzähler… wer hätte das gedacht. Nun hatte er eigentlich gehofft, seine Rente genießen zu können, aber nach der letzten Mieterhöhung reichte es nicht aus. Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel. Dieser stupide sitzplatzraubende Job gab ihm die Möglichkeit, sich mal eine Flasche Wein zu leisten.
Der Bus hatte die große Wendeschleife genommen, an der Ersthaltestelle standen viele Fahrgäste. Er sah sich gerne die Leute an und ahnte oder erdachte sich deren Geschichten. In den Gesichtern spiegelten sich ganze Lebensläufe. Da war er geübt. Hätte man ihn gefragt, er hätte Weissager-ähnliche Dinge behauptet.
Da gab es den Jungen, der zu Hause Ärger hatte, vermutete er. Immer zu blass, immer zu ernst. Den Blick gesenkt, vermeidend, man könnte ihm ansehen, dass er wieder eine schlechte Note in der Klassenarbeit geschrieben hatte. Seine Hände waren nie offen, immer hielt er die Daumen fest. Und mit diesen Fäusten zog er auch seine zu weite Hose hoch. Vielleicht knabberte er an den Nägeln und versteckte diese so… Angewöhnt und so verräterisch.
Oder die flotte Biene von ungefähr 60, die jeden Mittwoch zum Tanztee in die Masurenstraße fuhr. Aufgedonnert wie eine alte Fregatte. Und in Vorahnung auf ihre Kavaliere ein verträumtes Lächeln im Gesicht. Sie war umhüllt von süßem Duft gleich einer schweren flauschigen Stola.
Da war dieser Mann, Südländer. Hilfsbereit, als erwarte er einen Orden. Diese Hilfsbereitschaft, die anderen das Gesicht öffnete und ein Nicken entlockte. Der Personen mit Kinderwagen hinein und heraus half, seinen Platz anbot, andere freundlich zum Weitergehen im vollen Gang aufforderte oder ein Busfenster zuklappte, wenn es zu sehr zog.
Es war ein Mikrokosmos der Gesellschaft im Bus. Und es waren diese kleinen Geschichten, die ihm gefielen. Er klickte jedes Mal seinen Zähler in der Faust, las ihn nach Schließen der Türen ab und übertrug die Anzahl ausgestiegener Fahrgäste in die Zeile der Haltestelle.
Masurenstraße … 10
Cottbusser Allee ….5
Mariengasse ……….2
Bismarckallee …….14
Und so weiter…. Wenn niemand ausstieg und der Bus durchfuhr, weil auch nicht einer einsteigen wollte, musste er aufpassen, nicht zu sehr zu träumen… und eine Null eintragen…. Diese Daten musste er nun drei Monate „erheben“. Die Abteilungsleiterin Personenbeförderung hatte es ihm so motivierend erklärt, als hinge von ihm allein der gesamte Nahverkehr des Ortes ab.
Also saß er klickend am Ausstieg und erfüllte seinen Zweck im großen Getriebe des Busverkehrs der Stadt.
Da! Da war sie eines Tages, die Frau, die ihn so erschreckt hatte. Einem Widerschein gleich war das Gesicht bis auf seine Höhe gekommen. Sie hatte sich an die Scheibe vor seinem Sitz gestellt und ins Leere geblickt. Aber sein Gesicht, dem ihren gegenüber, der Glasgrenze zwischen ihnen, war ihm unheimlich. Als sähe er in die feminine Variation seines Gesichtes.
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Drei Geschichten im Kapitalismus
*Rausch
*Burning out
*Breaking-even-point
Auszug aus „Breaking-even-point:
… Los drück…
Eine Schweißperle rollt kitzelnd über die Stirn, stoppt wie zu einem Airbag-Test an der Augenbraue, zittert, kitzelt noch mehr und strömt dann, aufgefüllt mit dem nachrinnenden Schweiß, an der Braue entlang, rastet am Augenwinkel brennend ein. Ich wische nicht, keuche nur. Mein Atem stößt aus meinen Lungen, wie nach einem Dreitausend-Meter-Lauf.
Nach kurzer Pause flutet dieser Strom der Angst weiter über die Wange, bleibt am Kinn hängen und klatscht mit berstendem Aufprall auf die Tischplatte… Von nun an platscht es, alle drei Sekunden…
Halt, wisch… nein! Halt die Fresse!
Ich drücke ab! Oder?
Warum habe ich in diesem Scheiß-Pharma-Konzern angefangen? 75000 Jahres-Brutto … okay!
Scheiße okay, Scheiße, Scheiße, Scheiße…! Im Takt schlage ich mit der linken Hand auf die Tischplatte, der rechte Finger bereit…
Mann, hör auf mit dieser blöden gossigen Fäkalsprache… konzentrier´ dich!!!
Drück ab!
Marketing… haha, Pharmazeut und Marketing… kann das überhaupt funk-ti-o-nie-ren?
Aber meine Herren, das ist eine Symbiose sogar. In der Universität habe ich mich spezialisiert auf Marketing, neben der Pharmazie. Ich wollte nicht nur Apotheke, wie Papa.
Du Idiot!
Diese Beulen, dieses Leid. Der Alte hat geschrien wie am Spieß, als seine Pusteln aufsprangen und dieses rosig-gelbe Blut-Eiter-Gemisch sich ergoss. Dann verstarb er und einige der anderen Probanden… Eigenvergiftung. Unglaublich. 2%… nur!
Die Frau auf dem Patiententransporter, mit den schönen dunklen Augen… Matsch… Pampe war sie am Ende! 2 %, sie gehörte dazu, zu diesen 2%…
Haben die den Arsch offen? Das Medikament darf nicht auf den Markt, trotz Zulassung.
2% sind zwei zu viel….
Ein Buch mit sieben Siegeln
Lesen Sie hier einen Auszug …
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Sie hatten Mathe bei Frau Schäfer. Er sah aus dem Fenster und hörte ihrer angenehmen Stimme zu. Am liebsten hätte er sich jetzt in der Nase gebohrt, da war etwas, das störte. So aber hörte er Frau Schäfers angenehmer Stimme zu. Die Bäume im Park waren bunt geworden, sehr bunt. Der Herbst hatte die Blätter eingefärbt, als wolle er dem Frühling mit seinen Blüten beweisen, dass er bunter sein konnte. Und es war bunter. Das konnte der Betrachter beurteilen, denn er sah immer aus dem Fenster und hörte trotzdem dem Unterricht zu. Oft hatte es deswegen Ärger mit den Lehrern gegeben, die ihn plötzlich aufriefen, das Letztgesagte zu wiederholen oder ihn aufforderten zu berichten, was er draußen sehen würde. Dann hatte er freimütig über Amseln, Finken und Spatzen oder die Katze des Hausmeisters zur allgemeinen Belustigung der Klasse berichtet.
Es ging die Tür auf. Das hörte er und wendete den Kopf, um zu sehen, was da vor sich ging. Die Direktorin der Schule, Frau Kniesewetter, kam in die Klasse, gefolgt von einer schlecht zu erkennenden, hinter ihr drein huschenden Person. Alle Hälse wurden lang, die Klasse wurde ruhiger, als sie eben noch war. Niemand schwatzte, redete oder wisperte mehr. Alle sahen zu den beiden Frauen nach vorne, die nun das Tuscheln übernommen hatten. Daneben stand ein Mädchen, welches verlegen an die Decke der Klasse guckte, als würde sie prüfen wollen, ob der dortige Fleck eventuell eine geparkte Fliege sei. Frau Kniesewetter sah nun in die Klasse und meinte irgendwas wie, „so nun macht mal schön weiter…“, bevor sie wieder ging. Genau war das nicht zu verstehen, sicher konnte sie nicht so schnell von Tuscheln in Alltagssprache umstellen, dachte er.
Da stand nun dieses Mädchen und sah an die Decke, … immer noch. Frau Schäfer räusperte und erhob sich. …
Sacramentum
Hier ein Auszug der Lesung:
Die blonde Katja hat nach meinem tastenden Blick ihren MP3-Player leiser geregelt:
“Should I stay or should I go?” Clash! Das frage ich mich auch …
Was wäre, wenn ich Katja hier in die Bank drücken würde? Wenn ich ihr die süßen roten Wangen abknutschen würde? In meinem Schritt spannt es und drückt, bricht sich Frühling Bahn.
Ah, die Alte hinkt hinaus. Heult sie?
Egal, ich bin dran.
Es knarrt, es riecht nach der Gruftie-Ollen. Muffig wie ein moderndes Wischtuch legt sich der Mief auf meine Haut, robbt in meine Nase. Ich muss hüsteln.
Durch das Korbgeflecht checke ich die Nasenhaare des Priesters und denke unwillkürlich an ein Feuerzeug.
„Gelobt sei Jesus Christus.“
„In Ewigkeit, Amen …“
Meine Güte, der murmelt ja gelangweilt.
Ich müsste laut „Was?“ fragen, das wäre jetzt lustig.
Die Glien-Quelle
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Ein Auszug ist hier zu lesen:
… Zwei Wochen später stand sie in der Küche und schnitt Zwiebeln, als eben der dritte Lastkraftwagen durch ihre kleine Straße fuhr. ‚Was ist denn das wieder für ein Quatsch?‘, fragte sich die Hausfrau und überlegte, ob in der Umgebung jemand ein- oder ausziehen würde? Aber müsste sie davon nicht längst wissen? Als erneut ein LKW vorbeidonnerte und auf der unbefestigten Fahrbahn Staubwolken produzierte, schloss sie das Küchenfenster und betrat den Vorgarten. Sie eilte zum Eingangszaun und reckte ihren Kopf darüber, wie eine Schildkröte, die sich weit aus ihrem Panzer wagte. Mit großer Verwunderung sah sie, dass vor dem Tor der Nachbarn das Vehikel stand und Ewald Paletten mit einem Hubwagen heranrollte. Er trug auf seinem blonden Haar eine glänzende Kopfbedeckung mit Kuhhörnern. Der Chauffeur lud Kästen auf die Ladefläche, sprach mit ihm einige Worte. War das ein Getränkelieferant? Hatten die Freunde ein Fest gegeben, von dem Bettina nichts wusste? Sie schritt ins Haus und fragte ihren Paul: „Sag mal, weißt du, ob unsere Nachbarn gefeiert haben?“ …
„Nö!“, stöhnte der und schielte an seiner Frau vorbei auf den Fernsehbildschirm.
Nachdem Bettina gekocht hatte, beschritt sie den Garten, um die Blumen zu gießen und das Unkraut zu jäten. Sie drehte das Wasser an und startete zu sprühen. Nachdenklich dachte sie über die LKW nach, als es laut rotzte und stotterte und sich aus ihrem Schlauch nur noch braune Brühe mit Unterbrechungen übergab. Sie stellte eilig den Zufluss aus und besah sich den Gummischlauch genauer. Hatten sich im Inneren Algen gebildet? Davon las sie einmal.
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Hier ein Ausschnitt aus der Kurzgeschichte : „Karma ist“
…Der Erpel deckt jetzt auf der warmen Motorhaube die Ente und beide sehen mir dabei direkt in die Augen. Vielleicht haben sie Sorge, ich könnte aussteigen und sie stören. Ich muss herzhaft lachen und irgendwie wage ich es nicht, ein Handyfoto zu machen, wie es heute hip wäre.
Irgendwann sind sie fertig, ihre Bürzel aneinander zu reiben. Der Erpel springt erst von der Ente, dann von der Motorhaube. Sie hinterher. Sie müssen jetzt vor meinem Auto sein. Ich warte.
Für die restliche Ausliefer-Tour ist es heute zu spät, ich hätte noch nach Lübben fahren sollen. Autobahn.
Die Enten kommen nicht zum Vorschein. Nicht vorn, nicht links, was auch gefährlich wäre für die Tiere und auch nicht, richtig, rechts …
Ich drehe mich um, sehe nach hinten, öffne die Tür und steige aus. Nichts! Kein Verkehr, keine Enten, ich allein. Nur gegenüber steht eine Friseurin vor ihrem Laden und lächelt mir zu. Sie hat silbrig blond glänzende Haare. Ihr Mund ist eine rote Luftkissen-Versuchung. Der Busen spannt sich gegen den zu engen Kittel. Sie trägt eine Strumpfhose, deren wenige Fäden aussehen wie Zwirn, der sich in Rouladenfleisch schneidet. Nennt man diese Schnur noch Netzstrumpfhose?…
Tick-tack, tick-tack

… So saßen wir hier bei einem gemeinsamen Frühstück, neudeutsch ja eher brunchen genannt, und ich wunderte mich über die Ausgelassenheit meiner Schwestern. Ohne jedes Trübsal unterhielten sie sich seit einiger Zeit mit immer neuen Anekdoten über die herrlichen Frühstücks-Morgen an den Sonntagen unserer Kindheit. Sie hatten mich daran erinnert, dass in damaliger Zeit unsere Mutter noch sonnabends arbeitete, während wir die Schule besuchten.
An diesen Samstagen, der Klassenraum hatte seine Fenster zur Straße, hörten wir schmunzelnd das Radioprogramm des Feindsenders über die kleine schmale Straße in Berlin-Weißensee. Behaimstraße!
Jemand schien seine Wohnung zu putzen und wurde begleitet von der beliebten Sendung Evergreens à Go-Go mit dem Starmoderator Lord Knud.
Wir feixten, wenn der Lehrer mit rotem Kopf zum Fenster lief, und die Hand am Fensterknauf haltend, überlegte, ob man bei der Hitze dieses schließen konnte. Disco im Unterricht! Niemand ahnte, dass irgendwann, ca. 20 Jahre später, die Mauer fallen würde. Wir waren mitten im sogenannten Kalten Krieg, während ich meinem Schulfreund durch die Bankreihen bedeutete, dass ich den Song „Mister Postman“, von den „Carpenters“ gecovert, besonders mochte. Das waren Zeiten!
Ich erinnerte mich auch daran, wie albern die Politik manchmal agierte. Auf dem Schulweg kamen wir immer am „Schwarzen Adler“ vorbei, der alten Berliner Eckkneipe. Eines Tages wurde der Adler über der Tür gegen einen weißen Elefanten ausgetauscht. Der Vater meines Schulfreundes meinte: „Die drehen durch, die Roten, jetzt haben sie schon was gegen den alten Pleitegeier!“, ich verstand es damals nicht. Heute muss ich darüber schmunzeln. Ich bin alt geworden. …
Licht
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Hier ein kleiner Auszug:
…
„Du elender Esel, wann fangen wir hier an? Denkst du, wir warten alle auf dich? Meinst du, ich erzähle dir nun alles noch einmal von vorn? Meinst du, wir sollten uns nach dir richten mit der Zeit? Wo ist dein Respekt? Wo ist dein Anstand? Geh in den Hof und melde dich bei mir persönlich mit einer Entschuldigung vor der nächsten Unterrichtseinheit. Raus! Raus!“
Wenig später fand er sich im Hof in Gesellschaft zweier anderer Mitschüler wieder, die ebenfalls nicht pünktlich gewesen waren. Mit versteinerter Miene kickten sie Kiesel über den Schulhof und wussten, dass es noch Ärger geben würde. Nicht nur der Lehrer würde ihnen eine Rede halten, auch zuhause gäbe es erneut Stress.
Keinen Schatten gab es in dem Hof. Die Sonne bestrahlte das weiße Schulgebäude wie ein Scheinwerfer die Tanzszene eines Bollywood-Filmes. Es war eine unechte Sonne, die nicht wärmte. Den Nebel hatte sie jedoch inzwischen ächzend aufgerissen. Die Kälte zeichnete auf der beigen Schuluniform glitzernde Flächen.
„Mann ej, das ist doch Scheiße hier. Unsere Uhr ist nachgegangen, bestimmt wieder die Batterien alle. Und ich darf heute nicht zum Kricket zur Strafe.“ Einer der beiden war besonders wütend.
Nun kam noch ein Schüler angeschlurft. Hinter ihm stieb gelblicher Staub in schwachen Wölkchen auf, den er bei jedem Schritt aufwirbelte. Er trabte extrem langsam auf den Hof, als wüsste er, dass er gar keine Chance mehr hatte, ins Klassenzimmer zu kommen. Die drei Jungen sahen sich an.
„Kennst du den?“
Nein! Keiner hatte ihn je gesehen.
Die drei stellten sich nebeneinander auf. Wie Halunken in einem Western sahen sie zu dem fremden Jungen hinüber, der auf sie zukam. Etwas blitzte in der Sonne. Aus seinem Hemd hingen Kabel heraus. Unter dem durchgeschwitzten Stoff der Schulkleidung zeichneten sich rechteckige Flächen ab. Da stimmte etwas nicht. Warum schwitzt er so bei der Kälte? Der Fremde sah sie auch nicht an, hatte den Kopf gesenkt.
Die Jungen waren sich ohne Worte einig, der gehörte zu den Taliban. ….
Flüchtlingswellen
Hier ein Auszug:
…
Berlin Ost, September 1989
Susanne rief noch einige Male: »Hallo, Micha, hallo…«, dann legte sie den Hörer auf. Sie lief im Zimmer auf und ab. Sie strich sich immer wieder eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihr Blick hastete durch den Raum, hinüber zum Fenster. Wenn sie näher an die Scheibe trat, konnte sie den Wachturm sehen. In der Stube war kein Licht eingeschaltet, so stand sie da und beobachtete, wie der Wachmann mit dem Fernglas in den Todesstreifen spähte.
Ruckartig drehte Susanne sich um und ging an den Schrank. Sie griff nach einem Koffer und begann zu packen.
Am Morgen weckte sie sanft ihre Tochter: »Komm, steh auf, meine Süße, wir verreisen heute. «
Das Kind rieb sich die Augen: »Heute? Es sind ja gar keine Ferien und wir haben Sport. Ich habe doch den Turnbeutel gepackt. « »Planänderung, wir verreisen und treffen Onkel Micha. « »Au ja, super«, das Mädchen sprang aus dem Bett. »Was soll ich anziehen? « »Erst Zähneputzen. Ab ins Bad.« Als Susanne das wahrscheinlich letzte Mal durch die Wohnung lief, seufzte sie. Auf dem Wachturm gegenüber standen zwei Bewaffnete und rauchten. Das Kind war fertig, der Koffer verschlossen. Sie standen im Flur. Die Kleine fragte: »Darf ich Max mitnehmen? « Die Mutter hockte sich nieder: »Du hast doch schon Lisa, lass Max schlafen. Wir kaufen dir einen neuen Teddy. « Susanne erhob sich, öffnete die schwere Wohnungstür, die kurz danach krachend ins Schloss fiel. Man hörte im Hausflur nur noch das leise Trappeln die Treppe hinunter.
…
Aussichten
Hier ein Auszug meiner Lesung:
…
Unseren Feinden ist das Lachen bereits vergangen. Sie reden nicht mehr von einem Spaziergang nach Berlin;
ganz im Gegenteil.
Unsere im Angriff befindlichen tapferen Divisionen der Winterschlacht im Westen
haben sie mit hartem Zugriff wieder auf den Boden der unerbittlichen Tatsache gestellt ¹,…
dröhnte aus dem Rundfunkempfänger. Da heulten die Sirenen los. Voralarm!
Hedwig nahm ihre Puppe und legte sie zärtlich auf den Koffer, der neben der Eingangstür stand. Dann schaute sie in den Vorgarten.
Ihre Eltern waren zur Tante gegangen, um Mehl zu leihen. Hedwigs Mutter wollte backen. Echte Kekse! Es sollte zu Weihnachten duften.
Nun stand Hedwig im Bad und sah aus dem Fenster, unruhig wartend.
Hoffentlich würden die Eltern rechtzeitig nach Hause kommen. Gleich würde der Hauswart durchs Haus schreien und wie ein Berserker gegen die Wohnungstür hämmern.
…
Hagazussa
Hier ein Auszug des Textes:
…
Die Mutter ermahnte ihre Kinder zu respektvollem Verhalten. Dann zeigte sie auf die Turmuhr.
„Wenn die Glocke dreimal schlägt, seid ihr alle wieder hier!“
Fritz schlenderte durch die Reihen der Auslagen. Ihn interessierten vor allem die Wagen der Gewürzhändler, des Brauers und des Baders. Der Bader und seine Frau boten sehr lautstark ihr Haartonikum feil.
Als die Reihe der festen Stände endete, entdeckte er den kleinen Schirm, unter dem Frau Hollerbusch saß. Ihr gütiges Gesicht strahlte Fritz an.
Niemand kaufte bei ihrem Tee und Kräutermischungen, Salben und Elixiere. Fritz ging auf seine Freundin zu, begrüßte sie und strich ihr über das Kopftuch und die Schulter. „Warum haben die Leute Angst vor dir?“, fragte er.
Da schrie die Frau des Baders wie eine Sirene: „Sie hat den Jungen behext! Seht Euch diese Unzucht an! Das arme Kind in den Fängen der Chimäre!“
Das Gesicht der Klägerin wurde scharlachrot, die Adern zeichneten sich an den Schläfen ab und Speichel blitzte auf ihren wulstigen Lippen.
Als hätten die Menschen rundherum auf dieses Signal gewartet, traten sie heran. Tuschelnd begafften sie die Hollerbusch auf ihrem Schemel und den davorstehenden Knaben.
…
Frau Hollerbusch
Hier ein Auszug:
…
Fritz war mit dem Berühren des Schwanzes der Füchsin weggerissen worden. Ein Strudel hatte seine Füße hochgerissen. Er selbst drehte sich um seine eigene Achse. Die Luft war ihm weggeblieben und er glaubte, er müsse sterben. Funken stieben um ihn. Sterne schleuderten an ihm haarbreit vorbei. Endlich stürzte er auf eine Wiese. Eine weiße Wiese aus der nur hin und wieder ein Grashalm hervorstach. Die Wiese sah aus, als wäre sie aus reiner Watte. Auch der vermutete Aufprall hatte sich ganz sanft ereignet. Er lag, hatte die Nase in einem weichen weißen Gebilde und dachte darüber nach, ob es so sei, wenn man sein Leben verwirkt hatte.
Die freundliche Stimme seiner Freundin Frau Hollerbusch riss ihn wieder auf die Beine: „Sag mal Fritz, willst Du dort Wurzeln schlagen? Komm mit, ich warte auf Dich!“
Fritz freute sich, ihre vertraute Freundlichkeit zu vernehmen und eilte auf sie zu.
„Wo sind wir?“
„Das wirst du früh genug erfahren, mein Junge, aber erst wird das Bett gemacht.“
Sie liefen an einem Apfelbaum vorbei, der keine Früchte trug und ein lautes deutliches Schnarchen vernehmen ließ. Fritz musste lachen.
Sie kamen an einem Backofen vorbei, der seine Türen öffnete und klappernd wieder schloss. Fritz meinte ein Murmeln zu hören: „Gebt mir Arbeit, ich bin so kalt!“ Da zupfte Fritz der Frau Hollerbusch am Ärmel und machte sie darauf aufmerksam.
„Morgen ist auch noch ein Tag, mein Lieber“, sagte sie.
Sie kamen an ein Haus, vor dem ein herrlich gemauerter Brunnen mit großem Überbau stand.
…
Ein ziemlich dickes Haar in der Suppe
Und hier ein Auszug zum Lesen:
…
Also hatte sie jedes Mal etwas finden müssen, zu lange Haare, die aus der Nase wucherten, oder krumme Pelzohren, die einem Hasen Konkurrenz machten, Plattfüße, Stinkebeine, Schielaugen, Pfurzwänste, Zwerge, Altersschwäche, Kahlköpfige, Schwätzer, Weibische … egal, immer hatte sie etwas gefunden, um den Freier abzulehnen. Denn das war ihre einzige Chance, die Regel, die besagte, fände sich ein triftiger Grund nach der königlichen Freier-Prozess-Ordnung, unter dem Kapitel „Gründe, die zur Ablehnung führen“ , dann durfte sie wieder den Thronsaal verlassen. Meist konnte sie sich ein Kichern dabei nicht unterdrücken. Manchmal aber auch war sie rot vor Anstrengung und schwitzte, wenn sie nach erfolgreicher Ablehnung den Saal verließ. Ihr Vater war ungefähr uralt oder noch älter mal vier hoch dreitausend. Wenn sie an seine Lebensjahre dachte, war ihr klar, er konnte ja nicht ewig diese Freierstunden in der Halle abhalten, er würde schon ermüden. Da war sie überzeugt.
In der Thronhalle angekommen, lächelte sie mildtätig und den Kopf gesenkt nach links und rechts, den Hofstaat zu begrüßen, und ging auf ihre Eltern zu. Vor ihrem Vater knickste sie kurz und setzte sich dann zu Füßen ihrer Mutter auf eines der Kissen, die auf die Stufen zum Thronpodest gelegt waren. Ihre linke Hand fing nervös an den Trotteln der Kissenplatte zu fummeln. Die Königin flüsterte ihr zu, dass sie reizend aussähe und sie solle sich mal dieses Prachtstück ansehen.
Samanta sah in die Mitte des Saales, den jetzt ein junger Mann mit dunklem Haar, blauen Augen, breiten geraden Schultern und einer starken Schattierung im Schritt betrat.
Ihre Mutter wedelte sich mit einem Fächer heftig Luft zu und flüsterte so etwas wie Jesses Maria und Joseph oder meine Güte, diese Kraft oder etwas in der Art. Samanta nickte freundlich und musste sich das Lachen verkneifen. Der junge Mann, Prinz Eugen von Hastenichtgesehen, erzählte ausführlich von seinen Heldentaten, seinem Wissen in der Jagdkunst, seinen Kraftübungen bei Ritter Kennsteauchnicht und verbeugte sich zwischen seinen Sätzen immer wieder. Worauf die Fanfaren einen ordentlichen Salut bliesen und die Hofdamen Ahs und Ohs in die Halle flattern ließen.
…
Discoloration
Und hier ein Ausschnitt zu lesen:
…
Da liegt er, schimmernd neben Braun in gelblich-beiger Flüssigkeit. Er hat ein kleines Stückchen des Exkrementes abgeschnitten, wie eine braune Tangente an Gold. So sehe ich sinnverloren in das Toilettenbecken meinen Ehering an. So viel habe ich abgenommen, dass der Ring, viel zu groß, wie ein Fremdkörper an meinem Finger geduldet war. Ich sollte ihn jetzt heraus fingern. Katatoner Stupor!
Rastlose Schritte auf der anderen Seite der Tür. „Marius!“, heftiges Wummern gegen die Tür, „Mach jetzt! Oder soll ich erst reinkommen?“
´Bloß nicht… ´, denke ich. Mir brennt die Wange noch von der Backpfeife, die ich vorhin bekommen habe, weil ich nicht schnell genug vom Küchentisch aufgestanden war. Schließlich seien wir mit den Uhlmanns verabredet und müssten doch in einigen Minuten los. Ich räuspere mich. Wie ein ferner Hall erklingt das Geräusch in der Porzellanschüssel. Haben sich jetzt kleine Flüssigkeitskreise vom Schall der Stimme gebildet? Hübsch!
Meine Hand bewegt sich hinab. Wenn ich mich jetzt nicht beeile, wird es gleich wieder Schläge regnen. Das sind Dinge, die glaubt mir niemand. Darum erzähle ich sie nicht.
„Marius! Ich hole jetzt einen Schraubenzieher und komme rein, aber dann gnade dir Gott!“
Die Stimme dröhnt durch die Tür, die wie ein Resonanzboden den Klang vibrierend verstärkt. Ein Monster, herzlos, fremd, kalt!
Wie konnte es nur so weit kommen? Sie war einmal so reizend und liebevoll und nun immer diese Wutausbrüche.
…
Wie der Beliar Christine den Kopf verdreht
Und hier könnt Ihr einen Ausschnitt lesen:
…
„Lieber Herrgott, was soll ich nur tun, gestern kam er wieder erst um drei Uhr nach Hause. So ein Vollidiot! Dann schrammte er mit seinen wabbeligen Oberarmen links und rechts im Flur am Rauputz entlang. Merkt der noch was? Widerlich. Seine stinkenden Klamotten hat er in den Gang geworfen. Er ließ sich auf mich fallen und sabberte etwas von ‚Bussikussi‘ und ‚… wir könnten doch mal wieder … ‘. Spinnt der? Er hat gar nichts, womit er mal wieder könnte… Ich schob ihn von mir runter, er klatschte auf den Fußboden und wimmerte. Da musste ich meine Bettsachen nehmen und ins Gästezimmer ziehen… ich will das nicht mehr!“
Als hätte die Inspizientin des Welttheaters dem Bühnentechniker des Irdischen ein Zeichen gegeben, strahlt die Sonne durch die Spalten der Jalousien. Christine sieht im Spiegel der Frisierkommode ihre Haare deutlich heller und gleißend…
…
Pusteblume
Hier ein Auszug:
…
„Hilda war die erste Frau in Brandenburg, die Hosen trug. Dat war so was, was man heute Skandal nennen würde.“
„Wieso? Marlene Dietrich trug doch auch Hosen.“
„Ja, das war auch ein Skandal und die Dietrich war offiziell undeutsch und Vaterlandsverräterin. Die war ja rechtzeitig abjehauen.
Also diese Hilda hatte stahlblaue Augen und einen kurzen blonden Bubischnitt und trug eben Hosen. Sie sah aus wie een Mannequin. Und wenn se bei uns die Straße runterlief, drehten sich alle nach ihr um. Die meisten Kerle waren verrückt nach ihr. Ihr Mann war ein so netter lieber Zeitgenosse, immer anständig, nie ein böses Wort. Samstags klingelte er bei uns, setzte sich zu mir inne Küche und war traurig, dass er ein so schlechtes Zuhause habe. Ick bin dann rüber, habe an de Tür geklopft und jerufen: Mensch Hilda, du dumme Kuh, dein Kerl sitzt wieder bei mir und flennt. Was machst de mit dem, komm und sei ihm lieb. Hilda öffnete die Tür, lachte und wedelte mit einem Lappen vor meener Nase rum, meinte, der solle sich mal nich´ so haben. Samstags ist Putz- und Frauentag.
Alle Stühle war´n hochjestellt, die Teppiche beiseite jerollt, und überall roch es nach Bohnerwachs und Soda. Mensch Hilda, hab ick dann jesagt, dein Mann will it doch nur jemütlich haben, nun mach doch nicht jede Woche son Federlesen hier. Und wat bedeutet´it eigentlich, dass er bis Abend nicht wieder rein darf inne jute Stube?
…
Tim Deckers schwerster Fall
Hier ein Ausschnitt zu lesen:
…
Ich sah auf eine Schuhspitze, die Füße auf dem alten Eichenschreibtisch abgelegt, und ärgerte mich über einen Kaugummi der da klebte.
Da ging im Flur des Gewerbehauses das Licht an. Durch die Milchglasscheibe meiner Eingangstür, auf der in geschwungenen Lettern
Tim Decker
Privatdetektei
stand, sah ich einen Schatten näherkommen. Den Kurven nach zu urteilen, würde gleich eine Wahnsinnsfrau die Tür öffnen. Vorher würde sie sicher aber noch klopfen, dachte ich.
Aber erst einmal stand sie da, hatte ihr Köpfchen zum Lauschen an die Scheibe gelegt, darunter der Schatten der beiden großen Ohren.
Ich hustete deutlich, war ich doch neugierig auf den Rest der Verheißung. Und? Es klopfte!
„Herein, wenn es kein Schneider ist!“, rief ich und lachte über meinen unverwechselbaren Humor, der nicht bei jedem so gut ankam, wie bei mir selbst.
Die Tür öffnete sich quietschend, was dem Büro noch mehr den Charakter von jahrelanger Erfahrung im Business verlieh. Durch das Gegenlicht konnte ich nicht gleich erkennen, wer mir da gegenüberstand. Ich drehte das Schreibtischlicht in ihre Richtung.
Da nahm sie Raum ein, mit der Figur eines Pinup-Girls und den Bewegungen einer rolligen Katze, rund und geschmeidig. Die Lippen rotsündige Lust, für meinen Geschmack ein wenig zu dicke aufgetragen. Ihre blonden Haare sorgfältig in eine Welle frisiert. Ihre heiße Oberweite war die, welche ich nach dem Schatten geurteilt, erwartet hatte. Ich schluckte. Das kam nicht oft vor, dass Tim Decker schlucken musste.
Sie kam langsam in den Raum. Schritt für Schritt eroberte sie sich Terrain meines Heimathafens.
Dann blieb sie vor dem Tisch stehen, stützte sich mit ihren behandschuhten Händen auf meine Tischplatte und fragte mit einer Stimme, die zu dieser Mieze passte: „Sind Sie Tim Decker ?“
„Ja, Kleine“, raunte ich zurück und lehnte mich nach vorn in den Lichtkegel der Schreibtischlampe. Wir sahen uns tief in die Augen.
„Ich brauche Ihre Hilfe, Tim!“
Dann lamentierte sie eine Weile, berichtete über ihren Mann, Baubranche, dass sie vermute, er hätte ein Verhältnis. Ihr würde es um die Rettung der Beziehung gehen, nein, nicht ums Geld. Es gäbe einen Ehevertrag. Keine Kinder. Ein Riesenanwesen im Grunewald und ihr Herz wäre gebrochen. alles schön nach dem Motto: „Ich bin klein, mein Herz ist schmutzig, ich könnt´ schon wieder, ist das nicht putzig!“
….
Kaffee
Und hier könnt Ihr einen Ausschnitt lesen:
Einen Augenblick wirkte die Atmosphäre, als würde aus den Lautsprechern Simple Reds „A new Flame“ lauter erschallen. Nichts bewegte sich, außer den Staubkörnchen im Sonnenlicht, welches sich durch das Kaffeehausfenster Bahn brach.
Blitzartig küsste die Frau ihrem Gegenüber den Mund. Niemand im Kaffee hatte es gesehen. Sie lächelte nun kalt und siegesgewiss. Lehnte sich genüsslich zurück und beobachtete, was nun geschehen würde.
Er starrte sie kurz an, sein Blick weitete sich, er keuchte und kippte vom Stuhl. Sie stand auf, lachte auf und lief eiligen Schrittes zur Toilette.
Die Kellnerin lief zum Tisch, kniete sich neben den Mann auf dem Boden und fragte: „Hallo, was ist mit Ihnen, kann ich Ihnen helfen?“ Er flüsterte: „Alle raus hier, alle müssen raus, Hilfe…“
Das tat er mit einer solchen eindringlichen Ernsthaftigkeit und bedrohlich klingenden Kraftanstrengung, dass die Kellnerin spürte, dass er es ernst meinte und etwas Furchtbares passieren würde. Sie erhob sich schnell und schrie: „Raus hier! Raus… sofort!“
…
4 Komma 6
©pexels – Antonio di Giacomo
Hier ein Ausschnitt zum Lesen:
…
„Also pass auf, ich schicke dir Frau Klose rüber und du bist artig und bleibst im Bett, dann bekommst du später eine Überraschung. Sei lieb, bis nachher, Kuss!“
Sie drückten sich, Anna legte sich flach auf den Rücken, die Arme an die Seiten gepresst, Schlafbereitschaft signalisierend. Ihre Gedanken waren aber bei ihren Freunden.
Die Mutter ließ die Zimmertür einen Spalt offen. Anna hörte das Huftrappeln ihres Ponys und hatte eine Riesenfreude.
Ein Grummeln stieg vom Boden empor und ergriff sie! Gewisper aus dem Flur, als würde sie dadurch schneller einschlafen. Püh!
Die Eingangstür klappte und Frau Klose steuerte die Küche an, um Kaffee zu kochen. Anna musste warten, bis sie ins Zimmer geschaut hatte, dann würde die Dicke bald vor dem Fernseher eindösen. Sie mochte Frau Klose deswegen sehr!
Nur nicht einschlafen, Anna, schön wieder die Augen auf, sagte sie sich.
Schritte kamen, die Tür knarrte. Ruhe! Tür wieder zu, Schritte entfernten sich. Prima!
Anna saß wieder unter dem Tisch. Diesmal stupste sie Arielle vorsichtig an und flüsterte: „Ihr könnt euch jetzt bewegen, Mutti ist weg!“ Ken setzte sie wieder auf.
Oh, sie erfüllten Annas Wunsch und machten eine kleine kreisende Bewegung.
Und noch einmal! Eine ganze Runde um sich selbst, alle drei, Ken, seine Freundin und Pony. Toll! Anna juchzte auf! Stets hatte sie geahnt, dass ihre Spielkameraden lebten.
Plötzlich stand Ken auf, hopste einbeinig ein paar Zentimeter auf Arielle zu, die es ihm gleichtat und ein Tänzchen wagte. Dabei hielt ihre Hand sich an ihm fest, Pony sprang um sie herum.
…
Die Kraft der Maiglöckchen
©pexels – Michael Telitsyn
Hier eine Leseprobe:
…
„Dann geh doch und lass mich sterben.“ Er ließ von ihr ab, röchelte, schnitt mit einer Klinge in den Unterarm. Blut trat aus dem Schnitt und lief in schmaler Bahn den Arm hinab. Ein Mohnrot, klar und leuchtend. Lena sprang beiseite, eilte zu den Schuhen, nahm sie auf und würde sie im Treppenhaus anziehen. Dort dachte sie: ‚Hoffentlich ist er weg, wenn ich heimkomme!‘ Unten am Bach wusch sie ihre Hände, bis sie blau gefroren aussahen und ganz taub waren. Dann versteckte sie diese in den Manteltaschen.
Eines Tages erwähnte sie ihrer Mama gegenüber: „Mutti, wenn Papa sich die Arme aufschneidet und blutet und sterben will, warum macht er das dann nicht?“ Ihre Mutter sah sie erst mit schräg gelegtem Kopf, dann mit gefurchten Augenbrauen an. Sie hob ihre Tochter wie einen Karton mit Porzellanservices hoch auf den Tisch und stützte sich an der Kante ab. Nun fragte sie: „Was ist los, was redest du da? Lenchen, sag mir, was du meinst! Alles, ganz genau. Und lüge nicht, denk dir keine Geschichten aus!“ Lena sprach vom Eimer, den Klingen, von Vaters klebriger Hand und davon, wie sie in seiner Hose streichelte, dass er noch einige Tage leben könnte. Sie erzählte von dem roten Blut, das in den Kübel tropft und dem weißen Schaum an ihren Fingern, den sie abwusch, wenn der Vater nach lautem Schmerzensgestöhn zusammengesackt war. Und sie stammelte mit gepresster Stimme, dass sie manchmal wünschte, er würde sterben, dass sie sich deswegen schäme und abends viel bete, für Vater und für sich selbst. Sie wolle ja ein artiges Kind sein. Aber der Papa solle auch nicht derart leiden. Er sei so schön, wenn er lächelte. Ihre Mutter wurde merkwürdig blass. Hörte alles genau an. Sie strich Lena den Kopf. Ihre Hände zitterten. Dann wurde sie rot. Erst die Wangen, danach die Stirn, das Kinn und zuletzt die Augen. Lena hatte solche glühenden Augäpfel noch nie gesehen. Sie beschworen ein Gefühl, wie wenn sie Schlittschuh über zu dünnes Eis lief und das Singen und Knacken der gefrorenen Wasserdecke sie warnte, aber sie einfach nicht stoppen wollte.
…
Terror
Hier könnt Ihr einen Ausschnitt lesen:
“ … ´Was für eine Nacht? ´, denkt
er und schmeckt die Überbleibsel des Rotweines auf seiner Zunge, während er
sich aufsetzt. Seine Morgenerektion ist so stabil, dass er breit grinst. Er
sieht zu ihr hinüber und überlegt, ob er sich noch
einmal dicht an sie kuscheln sollte. Aber nach dem Kopfsenken wird ihm
schwindelig. Sein Magen scheint den Job zum Kettenkarussell gewechselt zu
haben. Er beschließt, das Bad zu benutzen, und lächelt. Die Fliesen flimmern
von Metallsplittern, Glitter-Effekt.
´Könnte man ja
Zuhause auch das Bad veredeln … ´, denkt er, und schrubbt mit der Zahnbürste über
seine Zähne. Seine Frau wird schon warten. „Marathonkonferenz!“, hat er gesagt,
„Ende offen bis zur Ergebnisfindung. Das wird die gesamte Nacht dauern!“.
Aber nun erwägt er, dass
dies hier sein ganzes restliches Leben anhalten sollte. Er ist nicht bereit,
seine Kollegin wieder herzugeben. Was, wenn Sie einen Mann kennenlernt und
selbst eine Familie gründen will. Sie ist jung, gefällt sicher nicht nur ihm,
sie wird eines Tages Kinder wollen. Nein, Kiara soll seine Frau sein, nicht die
Alte zuhause. Er ist sich klar, dass dies sein letzter Frühling sein würde.
Keine drei Jahre mehr und er nullt das sechste Mal. Mit diesen Gedanken
schlendert er, nicht gründlich abgetrocknet, ins Zimmer retour. Sie sitzt wie
eine Morgenelfe auf dem Bett und starrt in den Fernseher, wo eine Vettel am
Kochen und Plappern ist. Er beugt sich vor und gibt ihr einen Kuss auf die
Stirn. Ist sie kalt? Zog sie eben ihren Kopf leicht zurück? Nein, das bildet er
sich ein, sinniert er.
Sie erhebt sich und federt auf Zehenspitzen
dorthin, wo er gerade seine Marke
hinterlassen hat. Mit Schwung rollt er über das Doppelbett und greift nach
seinem Slip, zieht ihn an. …
Die Veštica
Hier ist ein Ausschnitt zu lesen:
…
„Wer sind Sie denn?“, schnauzte Joachim, als er sich stöhnend das Hinterteil rieb.
Die jammernde Frau murmelte „Snezana Kohnsevic.“
Und erklärte im Fortlauf des krampfhaften Wortwechsels, sie sei die Vertretung ihrer Nichte, die leider eines ihrer kranken Kinder hüten müsste. Das Ganze dauerte zwanzig Minuten. Da er kaum ihren Akzent verstehen konnte und der Meinung war, dass das, was sie sprach, so viel mit Deutsch zu tun hatte, wie eine Zitrone mit Zucker.
Er fluchte.
„Mit welchem Recht schickt Sanja eine Verwandte? Ich werde das nicht bezahlen und die Ausländerbehörde benachrichtigen. Gehen Sie mir aus dem Dunstkreis, Sie hässliche Hexe und verlassen Sie mein Heim!“
Die Frau, die bei näherem Hinsehen die stechend blauen Augen ihrer Nichte hatte, wollte ihm beim Aufstehen behilflich sein.
Er attackierte sie weiterhin verbal. Sie schlug bei seinen Flüchen immer wieder hastig Kreuze vor der Brust. Als sie ganz dicht vor ihm stand, gewahrte Joachim eine riesige schwarze Warze auf ihrer Nasenspitze. Er hob beide Arme vor seinen Kopf und schrie: „Komm mir nicht zu nahe! Geh weg Du Hexe.“
Er stützte sich auf und hinkte in die Küche, wobei er weiter die Frau anschrie.
„Sehen Sie jetzt zu, dass sie Land gewinnen, raus aus meinem Haus, ich will sie hier nie wieder sehen und Sanja kann auch bleiben, wo der Pfeffer wächst. Ich hole mir ne Polin, Ihr Jugos seid doch alle nicht sauber!“
Dabei hatte er zu dem am Kühlschrank lehnenden Besen gegriffen und der Alten gedroht.
Diese sah ihn mit schreckgeweiteten Augen an, sprang auf ihn zu. Ehe er reagieren konnte, hing sie auf seinem Rücken in Huckepackstellung. Er drehte sich wie ein Stier hin und her und wollte die Alte abschütteln. Er rammte sie rücklings gegen die Schränke, kippte vorn über und prallte mit ihrem Kopf gegen die Wand. Es gelang nicht, sie loszuwerden. Er keuchte und schwitzte, konnte die absurde Situation nicht begreifen.
Plötzlich wisperte die Frau ihm direkt ins Ohr.
„Haslesita cum rados, via cito um herbae. Likura zutuma harlema bitum senses. Karolu schepa zerassumm wiedus kleramatellis.“ Dabei riss sie ihm drei Haare aus.
…
Die Präsentation meiner AKTUELLEN LESUNGEN muss in einer etwas anderen Form nun für vier Wochen erfolgen, bitte schaut auch in meinen BLOG, zu finden als Extra-Menüpunkt hier …
Die Märchenprinzessin und der Ritter – am 10. März
Gretel und der Prinz – am 17.03.
Die Ruhe nach dem Sturm – am 24.03.
Die Kundgebung – am 31.03.
Hier zwei neue Lesungen
eine Osterkindergeschichte
Der Trick
und
eine düstere Geschichte aus Berlin (1.Teil)