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Hier ein Ausschnitt aus:
Raumschiff Schreiblust – Der Pinali-Konflikt
Von Marco A. Rauch
… Eine Aufnahme der Flugbahn erscheint auf dem großen Ereignisschirm der Brücke. In einiger Entfernung ist zu sehen, wie weitere Raketen aufsteigen, diesmal vom westlichen Kontinent. Kurz darauf starten Flugkörper vom südlichen Gebiet in Richtung Osten und nur wenig später verlassen über 30 atomare Gefechtsflugkörper den östlichen Bereich in Richtung Norden, Süden und Westen. Das Bild schwenkt um auf die orbitale Sicht. Nacheinander verursachen die Detonationen sich schnell vergrößernde lodernde Flächen. Auf der Brücke herrscht Totenstille. Kaum einer wagt zu glauben, was dort unten geschieht. Es gibt kaum einen Bereich der Planetenoberfläche, der nicht aus Feuer zu bestehen scheint. Nach wie vor kommen neue hinzu, bis es irgendwann vorbei ist. Die zuvor leuchtenden Punkte und Stränge der Städte und Straßen sind erloschen, einzig die vielen Feuerflächen erhellen den einst blühenden Planeten in den Tiefen des Alls. …
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Diese Geschichte ist wie immer hier zu hören:
Frieden, Freiheit, Sozialismus
Die Sonne beschien den Exerzierplatz der Armeedienststelle zaghaft hinter einem Hochnebelschleier verborgen, als schämte sie sich, dieses Szenario zu beleuchten.
Die Einheit war wie ausgestorben, leer. Die Schritte der Wenigen hallten durch ein geisterhaft verlassenes Gelände. Es war Manöver. Scharfes Manöver mit scharfer Munition in Bereitschaft.
Einige Offiziere, Berufsunteroffiziere und Soldaten aus dem sogenannten „Rückwärtigen Dienst“ waren noch anwesend. Der Kommandeurskraftfahrer, der das Essen in die Raketenstellung fuhr. Der Tankwart, die Köche und ich.
In einem kleinen Haus mit großem Schaufenster saß ich, der Sanitäter, und fragte mich, warum ich den KFZ-Park bewachte. Der diensthabende Feldscher war unten in der Stellung, die sich zwei Kilometer tiefer im Wald befand und sicherte das Manöver dort medizinisch ab. Ich war hier oben für jeden Krankheitsfall und die Qualität der Lebensmittel unter Hygieneaspekten verantwortlich.
In den Zeitungen stand etwas von Chaos und Anarchie beim polnischen Nachbarn …
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Fressen und gefressen werden – Lesung
© Bernd Kleber
Fressen und gefressen werden
Da bin ich auf dem Weg in die Stube. Trabe an dem kleinen Schrank vorbei und fühle mich zu Hause. Das Domizil, welches mir Geborgenheit bietet, wo ich alles an seinem Ort weiß und die Gerüche mich anheimeln.
Das Buchregal mit dem Geruch tausender Menschenhände, welche die Bücher gehalten haben, die Küche mit der Abzugshaube, Gerüche vieler Speisen aus Jahren oder das Badezimmer mit seinen Duschbädern, dem Kloreiniger und den frisch gewaschenen Handtüchern. Das sind alles Eindrücke, die nur auffallen, wenn sie sich verändern würden. Würde jemand eine neue Seife in die Ausbuchtung des Waschbeckens legen, dann würde ich das merken, so ist das zu Hause.
Die Zeitung habe ich im Flur aufgehoben und bringe sie Franz, … Hört, wie es weitergeht, indem Ihr oben klickt
Niemandsland – Lesung

Niemandsland
Ich komme zu mir. Alles weiß um mich, weiße Wände, weiße Bettwäsche, weiß in schmerzlicher Übersteigerung. Muss blinzeln. Möchte weniger Licht. Jemand beugt sich über mich, ganz dicht. Charon!
Stößt seine Nase mich jetzt an? Ich kann aber nichts erkennen. Soll ich ‚Wer sind Sie?‘ fragen? Tue es nicht! Wer bin ich? Die Sinne schwinden, falle zurück in eine Wolke aus Ruhe …
Werde wach. Eine Angst habe ich. Liege noch in diesem Weiß! Was mache ich hier? Der Klassiker: Wo bin ich? Eine Gestalt im mintgrünen Kittel…
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Die Legende von Karl und wie es ihn hinab zog
Der Friedhof ist ein selig Wirth, dem mancher Gast die Tafel ziert.
Sprichwort
Lene stand mit der Kelle in der Hand an der Tür, versperrte ihm den Weg.
„Karl, bitte, lass die Groschen hier, sieh dir die Kinder an, sie haben nichts zu essen.“
Ihr Mann, der Schuhmacher, sah sich um, einen Blick in das schmale Gesicht seines Ältesten.
„Vater, wenn ich einschlafe, werd ich nie wieder wach, hat Hans gesagt. Nun trau ich mich nicht, die Augen zu schließen.“
„Seid ihr alle verrückt geworden? Was setzt ihr dem Jungen für Flausen in den Kopf? Geh beiseite, Weib!“
Mit einem Hieb lag seine Frau in der Ecke. Der Schöpflöffel schepperte über die im Boden …
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Oh Fortuna …
Das Schicksal weiß genau, was es tut und es ist allem einen Schritt voraus. Wenn wir uns heute fragen, wieso platzte mir die Hosennaht, sind wir morgen glücklich, dass sie uns in die Arme der zärtlichen Schneiderin an der nächsten Ecke führte. Nur ungeschickt, wenn daheim eine „Sabine“ wartet …
Sabine schrie und warf eine Vase in hohem Bogen durch den Raum. Die sollte Martins Kopf treffen, flog an dem Geduckten vorbei, erblickte nach dem geöffneten Fenster die Weiten eines königsblauen Himmels und fühlte sich frei im Fluge auf die Bornholmer. Einen Augenblick trudelte sie, sich wie Mutter Erde um die eigene Achse drehend. Dann verharrte sie kurz, um von genau dieser Erde angezogen, sich steil abwärts zu bewegen. Vor den Füßen …
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Der Traum vom Fliegen
„Und dann? Wie ging es weiter?“
Sie wischt mit ausgestrecktem Arm die Mundwinkel ab.
„Mit den Stöckelschuhen lief ich den Flur einmal hinauf und einmal hinunter. Das klackerte laut. Sehr laut. Ich versuchte, leise zu gehen. Da sie aber viel zu groß waren, traten meine Hacken genau auf den Spann, was ihnen gar nicht gut tat. Sie brachen.“
Sie tupft mit einem Tuch die Stirn ab.
„Ja, und dann haben Sie das Kleid angezogen?“
„Nein, ich stand vor dem riesigen Kleiderschrank meiner Mutter. Öffnete beide Türen und betrachtete ein Paradies. Kleider mit weit schwingenden Röcken hatten es mir besonders angetan. Und sie hatte ein Großkariertes in leuchtenden Farben. Das streifte ich über. …
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Das System
Es klingelt in der Leitung! Nochmal, nochmal… Mann, geh ran…! Warum geht jetzt keiner ran? Ein AB wäre auch gut, würde mich freuen. Nichts! Leg auf! Nächster! Ich sitze vor dem Computer, starre auf den Bildschirm, klicke nacheinander auf die im Display erscheinenden Rufnummern potentieller Kunden und lausche auf den Rufton in meinem Kopfhörer… klick, klick, klick…
Ich schwitze. Die Sonne knallt ausgerechnet auf diese Fensterreihe hier, es gibt keine Vorhänge. Man hat feuchte Laken über rollbare Kleiderstangen gehängt und in den Raum gestellt. Soll Abkühlung bringen. Verarschen die uns? Ich sehe rüber zu meiner Kollegin, die spricht. Ich habe auf meinem Zettel erst 32 Striche, muss also noch einige machen.
33,34,35
Wenn ich jetzt nicht endlich jemand an die Strippe bekomme, wird das ein Scheißtag, wieder einer! Kann sein, dass sie dann morgen …
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Zwei Geschichten mit Herz und Fee … Hier Klicken
Zwei Geschichten mit Herz und Fee
Herzfee
Mit den Zehen voran schieben sie mich in den kalten Saal.
Die Schwester schaut mir wieder ins Gesicht, bohrend, durch mich durch, meine Abgründe suchend.
„Geht es?“
„Ja“, sage ich leicht genervt.
Ihr Blick macht mir Angst. Ihr Blick zeigt mir, dass es ernst ist. Sie sieht mich an, als wolle sie vermeiden, sich mehr Arbeit aufzuhalsen. Nicht in ihrer Schicht noch eine Leiche fertig machen. Nicht, da sie verabredet ist.
Ihre Handgriffe sind motorisch und hart, passgenau und zielsicher. Ständig bekomme ich etwas in den Verteiler gedrückt, den man mit Flügelkanüle in der Schlüsselbeinbeuge festgeklebt hat. Keine Zeit für Erklärungen. Ich dulde.
Ich habe Angst….
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Wunschvermögen
„Was?“
„…“
„Ja, Agnumamad heißt das neue Thema. Nun? Was fällt dir dazu ein … wie bitte? Hirnrissig? Das glaub ich nicht. Ich meine das ernst. Hast du nicht gesagt, du würdest dich für meine Geschichten interessieren?“
„…“
„Agnumamad. A-G-N-U-M-A-M-A-D”
„…“
„Brauchste nicht. Hab schon gegoogelt, kommt die Schreibaufgabe, also das Thema und eine Geschichte aus einem der Vormonate als Ergebnis.“
„…“
„Nein, das Thema war noch nie …
Warte doch mal,“
„…“
„Jaha“
„…“
„Damamunga gab es mal …“
„…“
„Ich leg auf!“
„…“
„Doch!“
„…“
„Du hörst ja gar nicht zu!“
„…“
…
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Kalenderblätter
Ob wir in süßer Liebe wachten
vor manchem Jahr um diese Zeit?
War heut ein Jahres-Tag der Schlachten,
die unser Vaterland befreit?
Doch der Kalender in dem Herzen
weiß nichts von Sieg und süßen Scherzen.
Arnim: Nachlese. Deutsche Lyrik von Luther bis Rilke
An einem schönen Tag … sie sah seine Hände über ihren Körper flattern. An den Brustwarzen blieben sie liegen, als er tief in sie drang. Er keuchte und bebte. Sein Schweiß lief über ihren Hals ins Heu. Seine Nähe wollte Marie festhalten. Der Geliebte reckte sich, spannte sich, dann sackte er über ihr zusammen. Marie hielt ihn umklammert, ahnte, dass es wieder nicht für die Ewigkeit war …
Neun Monate später, am 3. April 1910,
als der Ballon „Pommern“ in der Nähe von Saßnitz in die Ostsee stürzt und dessen Führer, der 42 jährige Reichstagsabgeordnete Werner Delbrück, und zwei seiner Begleiter ertrinken,
gebar sie ihr viertes Kind. Nannte es Hedwig, wie die Heiligenfigur auf dem Marktplatz, Herzogin von Schlesien.
Als am 21. April 1914,
im Berliner Versammlungslokal „Neue Welt“ eine Frauenkundgebung stattfindet, die vor der drohenden Kriegsgefahr warnt,
kommt Marie etwa zweihundert Kilometer weiter südöstlich im Stall mit ihrem fünften Kind nieder. Auch dieser Mann hatte sich verflüchtigt, nachdem er für kurze Zeit vielversprechende Zukunftsaussichten gesäuselt hatte.
Am 8. Juni 1914 reiste Marie mit ihren beiden Kleinen nach Ostpreußen.
Der erste Dampfer, die viertausend Bruttoregistertonnen große „Alliance“ durchquert den Panamakanal zum Test für die offizielle Einweihung fast zwei Monate später.
Herta hatte Marie für zwei Wochen aus der Pacht ihres Nachbarn Meier gelöst und deren Schulden beglichen.
In Rosenberg angekommen, bezog sie ein Zimmer mit Stofftapeten und moosweichen Teppichen. Die Cousine hatte einen Gutsbesitzer mit Pferdezucht geheiratet. Sie lebte sorglos. Ihre Seidenkleider raschelten …
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Zwei Geschichten unter dem vereinenden Thema : Perspektiven
Femina fortissima
Kommt, Dunois! Laßt uns der Heldin folgen,
Und ihr die tapfre Brust zum Schilde leihn!
Schiller: Die Jungfrau von Orleans.
Beide standen vor dem Spiegel. Sie fingerte an dem dünnen Stoff des Kleides. Er, hinter ihr, schob den Krawattenknoten höher.
„Zieh doch das Rote an, Liebes.“
Die Frau sah in sein gespiegeltes Antlitz.
„Ach lass nur, es ist doch ohnehin vorbei“, flüsterte sie.
Neele hörte aber verstand nicht, sah in unbekannte traurige Gesichter ihrer Eltern.
„Fahr allein, ich bleibe mit dem Kind hier. Ich muss mir nicht wieder von deiner Mutter Vorwürfe reinziehen und dein Grinsen dazu ansehen, Martin.“ Sie legte sich auf das Bett.
Neele war es Recht, dass sie nicht fuhren, und schlich sich aus dem Haus. Im Vorbeigehen ließ sie einen Kajalstift in ihrer Hosentasche verschwinden. Sie steckte gern Gegenstände ein, die sie wie Schätze behandelte.
Eine große Schwermut ergriff sie, dieses Gefühl war ihr unheimlich und neu. Sie lief zum Spielplatz. Wer würde dort sein?
Am Parkplatz vorbeischlendernd, sah sie über die leere Fläche. Kein Auto. Ehemals weiße Linien teilten das Areal geometrisch. Dort, wo sich die beiden dicksten Striche trafen, befand sich ein Gegenstand. Wie ein schwarzer Punkt …
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Fluch und Bestimmung
Wieso hat sie gesagt im Pausenraum?
Soll das die Atmosphäre entkrampfen?
Diese Personaltante mit ihren neuen empathischen sozialgefühlsbetonten Ansätzen.
Ist doch logisch, was da kommt.
Alle wissen, es gibt Entlassungen.
Warum muss ich da nun hin?
Kann doch sagen, ich gehe nicht.
Wer geht dann?
Wie war das heute Morgen? Meine Frau meinte noch, ich solle auch mal mit Sozialkompetenz handeln. Nun soll ich da als Erster ins Gespräch.
Was mache ich hier eigentlich?
Und dieser Kunkel ausgerechnet. Der hat so eine strenge Art. Der löst bei mir Sohnverhalten aus. Mann, Scheiße, ich will nicht.
Alles in mir schreit nach Flucht.
So einen Job …
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Kugeln haben kurze Beine
Beate Neureuter und Sylvia Tietz sahen ihre Nachbarin Frau Angela Klupsch auffordernd an. Beide hatten hochglänzende Fotobücher vor sich liegen. Wie sie betont hatten, zu je 96 Seiten, die teuerste Variante.
Zwei Stunden waren vergangen, in denen sie anhand ihrer Beweisfotos von verträumten Landschaften, mildem Klima, herrlichen Badetemperaturen, interessanten Museen und glücklichen Familienangehörigen geschwärmt hatten. Stundenlange Flüge hatten sie überstanden und an den weißesten Stränden wunderbare Zeiten zugebracht. Nur in allerfeinster Gesellschaft war ihnen Amüsement vergönnt gewesen, alles natürlich „all inclusive“. Angela Klupsch hatte allem gelauscht, immer wieder breit gegrinst, genickt und „Ah!“ und „Oh!“ geäußert.
Nun war sie an der Reihe, von ihrem letzten Urlaub zu berichten. Beate und Sylvia entging nicht, dass Angela kein Fotobuch mitgebracht hatte, keine erjagten Schnäppchen und nicht einmal eine Postkarte. Aufmerksam beobachteten sie die Frau, die ihnen von einem nicht zu belegenden Feriendomizil erzählen wollte. Sie hatte noch nicht das Ziel genannt. Ungeduldig ermunterten sie Angela, deren Ferien zu schildern. Als diese sich wand, goss Beate erstmal Kaffee und Likör nach.
„Prösterchen, na nun erzähl schon Gela, wir sind beide schon sehr neugierig“, stießen sie Angela von links und rechts an.
Angela kniff sich nervös die Unterlippe, seufzte:
„Ihr dürft mich nicht auslachen. Vor allem ist es eine so unglaubliche Geschichte, dass ich sie nur euch hier unter sechs Augen erzählen kann.“
„Ja, Liebes, mach dir keine Sorgen, leg los.“, Beate sah zwinkernd zu Sylvia hinüber.
„Wir hatten eine Europarundreise vorbereitet. Die beiden Kinder hatten sich lange damit beschäftigt und mit ihrem Vater Ziele definiert. Ich hatte mir ein Buch gekauft: ´Landschaftsfotografie, digitale Eindrücke richtig ins Bild setzen´.
10 Megapixel sollten für uns und euch die herrlichsten Motive einfangen. Geplant war eine Route über die Kasseler Berge, Richtung Schwarzwald, nach Frankreich, von dort Italien, dann nach Slowenien, Österreich gequert, rüber nach Tschechien, dann durch Polen und zurück nach Hause.“
„Und nun – was war am Schönsten? Ihr habt das dann auch gemacht, oder wie?“
„Wir kamen bis kurz vor Kremmen, hatten in Linum noch die Jungstörche bewundert und waren auf der Landstraße zwischen alten Bäumen, einer herrlichen Allee. Die Kinder rätselten. Klaus schimpfte über den Straßenbelag. Max neckte seine Schwester Sophie, die auf keine Lösung kam. Da stotterte das Auto. Abwechselnd erlosch und blinkte die Instrumententafel, bis das Auto stehen blieb.“
„Langweile uns nicht mit albernen Details. Komm zur Sache, Schätzchen.“ Beate feixte und stieß Sylvia kichernd an.
„Ja, es geht los, das ist der Beginn eines großen Abenteuers. Die Cockpituhr war bei zehn Uhr stehen geblieben. Ein Schatten, wie eine riesige Wolke verdunkelte das Firmament und ein starker greller Lichtstrahl wies direkt von oben senkrecht auf uns. Die Kinder klebten mit den Gesichtern an den Scheiben, weil Klaus das Öffnen der Fenster verboten hatte. Der Wagen sprang nicht mehr an. Er schaukelte plötzlich und bebte. Als wir durch das gleißende Licht genauer nach draußen sahen, erkannten wir, dass wir schwebten. Wir glitten schon über die Baumwipfel. …
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Ekel
Die Sonne stieg über die Dächer der Teltower Siedlung. Sie zog ihre Bahn Richtung Zenit, über gepflegte Rasenflächen, die jeder Gartenfachzeitschrift gerecht wurden.
Das Haus am Ende der Straße war frisch gestrichen. Die Farbe breitete sich als Schleier einer Reflexion über das synthetisch anmutende Grün des Vorgartens. Die Fensterläden waren neu. Aus der Küche wehten gestärkte Gardinen in den Garten.
Dahinter, zwischen den Vorhangfahnen zeigte sich der Kopf einer jungen Frau. Katharina, Hausfrau und Mutter, hantierte mit verbissenem Gesicht. Das Antlitz wirkte störend in der Idylle, war verkrampft, der Mund zu einem schmalen Strich gepresst.
Ihr Arm hob und senkte sich schlagartig. Ein metallischer Gegenstand reflektierte kurz die Sonne. Die Amsel, die eben noch die letzten Strophen ihres Morgenliedes geträllert hatte, flog aufgeschreckt in den Nachbargarten.
Das Messer versank im Gewebe, die Klinge war nicht mehr zu sehen. Sie spürte, wie der Widerstand der Fasern sich vibrierend auf ihre Unterarm-Muskeln übertrug. Wie feine Wollfäden unter Spannung zerrissen die Fasern bei Berührung der Klinge.
Angewidert stach sie erneut zu, zog die Klinge durch …
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Prinzenviertel, an der Rennbahn
Lena Grünthal schob die Ozeanpassagen-Billetts unter die „Voss“ als es klopfte.
„Ja?“ ihre Stimme klang brüchig und sie wischte hastig eine Träne vom Nasenflügel.
„Frau Grünthal, darf ick bitte zuhause Abendbrot essen?“
„Wie? Aber Magda, sicherlich. Du darfst essen, wo du magst. Auch zu Hause, wenn du möchtest und nimm bitte eine Portion für deine Frau Mutter mit, frag das doch nicht immer wieder.“
Magda machte einen Knicks und wollte sich abwenden, als Frau Grünthal sie aufhielt.
„Magda, bleib bitte kurz hier. Setz dich. Sag mal, meinst du wir könnten morgen dein Domizil aufsuchen? Ich möchte dort mit dir und deiner Mutter etwas besprechen und habe eine sehr große Bitte an euch, deren Erfüllung ich gut entlohnen werde.“
„Wat?“
„Setz dich hin, Kind!“ Frau Grünthals Stimme klang energischer.
Magda saß nun so auf dem rot-weiß gestreiften Seidenpolster, dass es aussah, als würde sie gleich auf den Boden rutschen.
„Magda, du warst nun sieben Jahre ein wirklich gutes und diskretes Hausmädchen, ich möchte dir allen Dank aussprechen. Ich konnte mich immer auf dich verlassen, hatte stets den Eindruck, dass du loyal bist. Besuche in unserem Haus nahmst du wie eine erfahrene Empfangsdame auf. Alle waren ständig voll des Lobes. Ich werde Dir ein hervorragendes Zeugnis schreiben.“
Lautes Schluchzen unterbrach die Rede. Magda knautschte ihr Taschentuch unter der Nase.
Lena Grünthal erhob sich und stellte sich hinter das Mädchen, hielt deren Schulter.
„Magda, wir müssen morgen sehr viel schaffen und organisieren. Du, ich möchte mich weiter auf dich verlassen können. …
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Reines Betriebsvergnügen
Sie knetete ihre Unterlippe. Kniff fast zu fest in sie hinein. Ihr Blick war auf das Tanzpaar gerichtet. Wie eine Katze kurz vor dem Zuschnappen. So konnte es nicht weitergehen. Wollte Regina ihren Mann nicht verlieren, musste sie einschreiten. Die Musik dröhnte aufreizend. Ihre Nerven vibrierten. Es hätte nur eines kleinen Anstoßes bedurft und sie wäre in Tränen ausgebrochen. Das nagte gewaltig an ihr. Denn eigentlich war Regina Steinmüller gewohnt, alles fest im Griff zu haben.
Ihr Mann und diese Venus tanzten in drei Schritt Entfernung schon seit zehn Minuten. Sie drehten sich mit lautem Lachen temperamentvoll im Takt der Musik. Sie riefen sich vergnügt Dinge zu, die Regina nicht verstehen konnte. Diese Blonde hatte sogar die Frechheit besessen, ihr zu zuwinken. Regina Steinmüller fühlte ihr Herz heftig in ihren Schläfen pochen. Ihr Kopf schmerzte. Die Hände zitterten.
„Junge Frau, darf ich Ihnen noch etwas bringen?“, neigte sich der Kopf des jungen Kellners zu ihr herunter. „Äh, ja, bringen Sie noch einen Pinot Gris, den gleichen wie vorhin, aber kühler bitte, kühler … !“ „Jawohl“ war die demütige Erwiderung des flinken Angestellten. Langsam drehte sie den Kopf in seine Richtung aber er war nicht mehr zu sehen.
Regina Steinmüller zermarterte sich das Hirn. Wann trafen sich die beiden? Wann hatte dieses Affentheater angefangen?
Ja, sicher hatte sie Ralph im Bett vernachlässigt, wenn er sich spät abends noch an sie drückte und seine Lust an ihren Schenkeln pochte. Oft hatte sie dann gemurrt und ihm über die Wange gestrichen: „Morgen, vielleicht, heute nicht mehr, ich hatte so viel zu tun, Schatz.“ Und dann hatten diese typischen Kegelabende begonnen. …
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Babel
Der Wecker klingelte. Die Körper lagen so verknotet, als würden sie immer so schlafen. Sie konnte den Wecker erreichen und schlug ihn k.o. Dann drehte sie sich ganz vorsichtig aus der Umklammerung des haarigen Beines über ihr. Wenn sie jetzt aufsteht, wird er wach.
Sie sieht zur Decke und denkt daran, wie schön der gestrige Abend war und dass sie heute zu diesem Protest gegen den Atomtransport gehen wolle.
Warum mobilisiert eigentlich so ein Atomprotest ganz viele Menschen und gegen Hartz4 protestiert man eher in sich hinein?
Wut stieg in ihr auf. Sie lag hier mit jemanden, den sie nicht einmal kannte. Horst? Heinz? Hinnerk? Benjamin? Nee, Heiner! Genau dieser Mann hieß Heiner. Sicher stammte er aus einem Intellektuellen-Haushalt. Sie könnte ihn jetzt heftig schütteln und fragen, ob er mit Nachnamen Müller hieße. Das wäre echt komisch.
Sie schälte sich weiter aus der Umklammerung heraus und dieser Arm musste auch noch aus dem Weg. Sie griff nach seinem Handgelenk und hob den Arm mechanisch ruckend an. Sie spielte Kran. Stück für Stück wanderte Heiners Arm in die Höhe, dann lies sie ihn neben seinem Körper fallen. Dieser Heiner rührt sich gar nicht.
Oh, nein, ich habe ihn in einem Anfall von geistiger Umnachtung, ferngesteuert von Aliens, unter Drogen, die sich kurz vor der Markteinführung befinden, getötet. Man wird mich fragen, nach einem Motiv und ich werde auf Unzurechnungsfähigkeit plädieren. Man wird zwei klitzekleine Narben von Einstichen an meinem Hals erkennen. Sie setzte sich auf und schrie: „Heiner!“
„Ja, shit, whats happens?“ er lebt und er kann englisch, meine Güte! „Wie heißt du eigentlich mit Familiennamen?“ „Müller.“
„Alles klar…“ Sie schwingt sich aus dem Bett und geht in die Küche. Kaffee wäre toll!
„Wer sind sie denn?“ fragt sie, als sie um die Ecke steuert und den Umriss eines Körpers sieht. „Ich bin Rügen-Kano!“ „Rügen-Kano?“
Sie schüttelt ihren Kopf und überlegt, ob sie tatsächlich Drogen nahm? „Rügen-Kano? Wenn sie mir nicht sofort sagen, was sie hier machen, schreie ich das Haus zusammen!“
„Bleib ruhig Liza, ich bin Rügen-Kano und hier, um Dir zu helfen.“
Sie starrt auf die Silhouette, die sich nun aus dem Gegenlicht bewegte. Eine Asiatin! Die Haare waren streng in eine asymmetrische Form frisiert, die Lippen blutrot, die Augen leuchteten magisch.
Sofort fragte sie: “Wo ist ihre Schwester?“ Rügen schaut sie fragend an.
„Wo ist Usedom-Kano?“ und denkt, wie uncool das klingt.
Rügen-Kano fragt sie aber sofort, woher sie von ihrer Schwester wissen würde?
Liza nickt und weiß nun, dass sie in einem Murakami Plot gelandet ist. Sie lacht.
„Sie lachen, dürfte ich wissen worüber?“ Rügen-Kano streicht sich ihren Scheitel aus dem Gesicht. Sie presst, als müsse sie die Festigkeit ihres makellosen Lippenstiftes prüfen, die Lippen zusammen.
Liza sieht sich um. „Ich wollte Kaffee machen, möchten sie auch? Da drin“, sie zeigt auf das Schlafzimmer, „habe ich noch einen Heiner Müller liegen, vielleicht sagen sie ihm mal ‚Guten Tag‘, danach trinken wir in aller Ruhe Kaffee.“
Eigentlich müsste sie jeden Moment aufwachen. Dessen war sie sich sicher.
„Liza, wir müssen zum Castorprotest und anschließend vor das zentrale Jobcenter gegen Hartz4 auftreten, man rechnet mit uns!“
Jetzt wurde es doch komisch, war das ihr Gewissen, das den Streich spielte? Sie war sich ganz sicher, dass dies hier irgendwie kaum der Realität entsprechen konnte, …
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Deutscher Herbst
„ … Da lag die Ewigkeit wie ein schöner Maitag vor unsern Augen; goldne Jahrtausende hüpften, wie Bräute, vor unserer Seele vorbei. … “*
Die Nachrichten zu dieser Zeit waren dominiert vom Terrorismus. Schleyer, der Arbeitgeberpräsident, war entführt worden. Wir aber waren geschockt, weil unsere Deutschlehrerin gestorben war.
Einige Wochen des Mutmaßens, des Gedenkens waren vergangen. Aber eine neue Lehrerin gab es noch nicht. Der Direktor hatte uns Bücher genannt, die in diesem Schuljahr gelesen werden sollten. Mit ihnen sollten wir uns beschäftigen. In den für Deutsch vorgesehenen Unterrichtsstunden durften wir nach Hause gehen oder lasen im Klassenraum.
Eines Tages, ich weiß nicht, wie viel Zeit seit dem Tod der alten Dame vergangen war, betrat der Direktor mit einer Frau den Raum. Augenblicklich wurde es ruhig und alle Blicke waren auf die beiden gerichtet. Eine junge Frau stand dort mit einer imposanten Frisur, die viel Aufmerksamkeit erregte. Feuriges Rot umwallte das schmale, blasse Gesicht. Sie hatte volle Lippen und ihre großen Augen schauten durch eine riesige Brille, wie sie 1977 modern war. Der smaragdfarbene Lidschatten schimmerte über fächerartigen Knef-Wimpern. Sie trug ein knöchellanges Kleid mit breiten Streifen in schrillen Grüntönen, die schräg nach unten bis zum Boden ausliefen. Unter ihrem Arm hielt sie eine derbe Rindsledertasche. Ihre Figur konnte sich mit der von „BB“ oder „CC“ vergleichen lassen. An dieser Schule waren alle ihre Kollegen und Kolleginnen mindestens dreißig Jahre älter.
Als der Direktor seine Ansprache beendet hatte, gab er der Neuen ein Zeichen. Die legte ihre Aktentasche mit kühnem Schwung auf den Lehrertisch und wandte sich an uns:
„Guten Tag, ich unterrichte ab heute bei Ihnen Deutsch, die Sprache, die Schönes in die Welt brachte, aber auch die Sprache, die Hass und Leid bedeutete. Wir werden uns hauptsächlich mit dem Schönen dieses westlichen Zweiges der germanischen Ursprache beschäftigen. Danke Herr Mosner, ich komme klar mit meinen Schülern. Mein Name ist … “, sie drehte sich zur Tafel und schrieb parallel zur Aussprache, „Terzky, Frau Terzky“. Sie sprach zart und leise.
Die Tür klappte, der Direktor hatte den Klassenraum verlassen.
Frau Terzky nahm aus ihrer Tasche ein kleines Reclambuch und las:
„ … Wärest du ganz nur Liebe für mich, wann hättest du Zeit gehabt, eine Vergleichung zu machen? Wenn ich bei dir bin, zerschmilzt meine Vernunft in einen Blick – in einen Traum von dir, wenn ich weg bin, und du hast noch eine Klugheit neben deiner Liebe? … “*
Sie schaute mit ihren schönen Augen in die Klasse. Ihr Blick streifte durch die Bankreihen, ruhte kurz hier und da und pausierte lange bei mir. Sie lächelte und sprach weiter: „Warum musste eine Liebe tragisch enden? Das werden wir klären. Warum musste die Liebe zwischen Ferdinand und Luise tragisch enden?“
Eine Wolke feinsten betörenden Duftes zog sie wie eine lange Schleppe hinter sich her,…
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Perspektiven
Im Hausflur kommt ihm Frau Linke entgegen, in dem Augenblick, als die donnernde Stimme seines Vaters „Verfickte Hure!“ durch die geschlossene Wohnungstür zu hören ist.
Die alte Frau sieht ihm in die Augen, als erwarte sie Widerspruch oder eine Entschuldigung von ihm für das Gebrüll des Alten.
Marco sagt flüsternd: „Hei!“ und läuft weiter.
Frau Linke bleibt auf dem Treppenabsatz stehen. Bis zu den Briefkästen hinab hört man die vulgären Ausbrüche.
„Abhauen“ ist jetzt besser, seine Mutter würde wieder Schläge beziehen und zu ihrer Freundin huschen. An Abendbrot nicht zu denken heute. Später schleicht sie sich in die Wohnung zurück. Meist gibt sie ihm alle Schuld, er sei ohnehin nicht geplant gewesen: ein Unfall!
Und bevor er gekommen war, hatte sein Papa sich nur um sie gekümmert.
Auf der Straße schießt er eine platte Bierbüchse quer über das Pflaster.
Ein Scheißleben …
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Kolossal
Solch Wunder erschien‘ uns der himmlische Anblick.
Trotzdem hält jetzt niemand für wert, da man satt ist
des Schauspiels,
Seinen Blick zu erheben zum leuchtenden Himmelsgewölbe.
Drum wenn grade die Neuheit dich schreckt,
verwirf nicht im Geiste
Vorschnell unsere Forschung; vielmehr mit der Wage
des Urteils
Wäge sie desto genauer und, scheint sie dir wahr, so
ergib dich!
Lukrez: Über die Natur der Dinge
Stundenlanges Training im Ludus Magnus, endlich wieder zurück im Keller. Angespannt. Seine Nerven surrten, das Herz schlug in treibendem Druck.
David fühlte sich einsam, sah seinen Zellenkameraden an und fasste einen Entschluss, von dem er wusste, dass er tödlich enden könnte. Er griff nach der Rechten seines Kameraden und streichelte dessen Pranke.
Der Riese aus Aschdod sah ihn mit braunen Augen an. David rieb über die Schwielen in dessen Handfläche und tastete sich vorwärts, versprach Geben und Nehmen, Nähe und Geborgenheit. Der Recke strich ihm über Stellen, die bisher noch nie Zärtlichkeit erfahren hatten.
Ein Ziehen zwirbelte durch Davids Körper, Sucht nach Zuneigung, der Wunsch nach der einen, alles lösenden Explosion. Noch nie hatte er so bei einem Mann gelegen.
Der Riese sah ihn leidenschaftlich an. Sein Blick verriet, dass er im Leben schon mehr erlebt hatte. Die Gedanken der Männer gingen in Schweiß, Ringen, Keuchen und Lust unter …
Ein Lächeln wie von einem schüchternen Kind schlich um die Mundwinkel des Hünen. Goliath nannten sie ihn alle, Goliath den Philister.
Beide ruhten nun, lagen Seite an Seite mit verschlungenen Beinen.
David sah in die glitzernden Lichtkegel der Sonne, die hier im Keller den sandigen Boden trafen. Das Flirren blinkerte wie Goldstaub.
Die Hitze lag als Teppich über allem. Hin und wieder war das Grollen aus den Käfigen der Riesenkatzen zu hören, deren Gestank die Luft in den Gewölben charakterisierte.
David schlief ein.
Nächtliche Kälte schlich durch die Gitterstäbe. Die Hand des Riesen strich wärmend über den Rücken des Kleineren. Goliath breitete ein Fell über Davids Beine. Vorsichtig wollte sich dieser aus dem Knoten lösen. Als der Riese ihn fest hielt, ließ er es zu.
Küsse auf dunkler Haut. …
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Verblendung
Der rosa Bogen seiner Oberlippe erhob sich bis zu einem Höhepunkt, an dem er sich steil abwärts stürzte. Der Schwung beschleunigte beschwingt. Die Farbe der Lippen: ein Altrosa, wie das der wilden Rosen am Hain gegenüber.
Seine Mutter hatte ihm erklärt, dass alle Neugeborenen, wenn sie das Licht der Welt erblickten, die Engel um uns herum sehen könnten. Und bevor sie das erste Wort ihres Lebens sprechen würden, käme der Schönste dieser Lichtgestalten an die Wiege. Dieser lege seinen Zeigefinger genau auf diese Stelle in der Mitte der Oberlippe, kurz unter der Nasenspitze, um mit sanftem Druck eine kleine Delle zu hinterlassen: Pssst ! Philtron – Liebeszauber!
Nie wäre man in der Lage, von dieser unschuldigen Zeit des Sehens später zu berichten. Ein Abschnitt im Werden, während man Engel sah. Mit diesem Siegel und der damit verbundenen Zeichnung würde das bis an das Ende irdischen Lebens vergessen sein.
Nun sah er jedoch ein engelgleiches Wesen. Nur eine Armlänge von ihm entfernt schaute er in das Antlitz dieses Überwesens.
Sein Sehnen lief weiter über den temperamentvollen Bogen der Wölbung.
Der Teint schimmerte wie Porzellan, glatt und ebenmäßig. Sanft schimmernd, Damast gleich. Keine Schattierung, die nicht den Vorteil dieses Gesichtes unterstrichen hätte.
Dem Schwung folgend, glitt sein Blick über das charismatische Jochbein bis zum Auslauf der Braue.
Dunkles Blond, …
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Erst-Landung
So weit entfernt von Zuhause, von Heimat. Und diese Wachen vertieften zusätzlich das Gefühl von Einsamkeit. Sehnsüchtig blickte ich ans Firmament. Der Sternenhimmel war klar und tief wie ein eiskalter, grundloser H2O-Speicher. Meine Lieblingssternbilder hatten sich auf den Weg gemacht, den Äther zu durchreisen, um sich in den schönsten Winkeln zu präsentieren. Sie stiegen an und vollzogen bei ihrer Halbkreisbahn eine kleine Verschiebung ihrer Zentralachse. Es war sehr kalt. Auf meiner Haut bildeten sich kleine Kristalle.
Ich hatte Fernweh!
Da schob sich in dieses Bild des ewigen gleichen und friedlichen Kreislaufes ein neuer Himmelskörper.
Mit Schweif.
Er wurde größer und größer und das in kurzer Zeit. Ich beobachtete diesen Kometen. In mir alarmierten alle Nerven den Wunsch nach Flucht, Deckung, Hilfe. Mein Blick tastete die Umgebung ab. Losrennen? Hierbleiben? War ich der Einzige, der das gerade sah? Wurde ich Zeuge eines Unglückes? Was, wenn dieser Körper ungebremst hier aufschlug? Ich stand auf, wollte gehen, konnte meinen Blick aber nicht von diesem Fakt lösen.
Ja, es bestand kein Zweifel, dieser kosmische Körper raste direkt auf mich zu.
Das Geschoss sah für mich aus wie ein riesiges Tier, plump und klobig. Es drehte sich in der Luft um die eigene Querachse. Mit ungeheurem Lärm, Staub aufwirbelnd, senkte es sich langsamer werdend auf die Ebene vor mir. Es musste so etwas wie eine Bremskraftregulierung stattgefunden haben. Eingehüllt war das Ding nun in eine graue Wolke.
Dann war Ruhe, es stand still und breit vor mir. Grinste es? Es hatte seine mindestens vier Gliedmaßen in das Plateau gerammt und federte nach. Genau konnte ich die Gliedmaßen nicht erkennen. Die Partikelwolke senkte sich erst nach und nach. Das Phänomen strahlte souveräne Ruhe aus. Es war riesig. Mir fiel es schwer, seine Höhe zu schätzen. Gigantomanie! Der Körper glänzte silbern. Von mir nie gesehene Schriftzeichen verzierten seinen Rumpf. Doch kein Tier?
Ich schüttelte mich, sprang drei Sätze beiseite und dann in die andere Richtung. Ich sprang noch einige Male ohne Ziel, bis ich mich selbst ermahnte, Ruhe zu bewahren.
Was sollte ich tun? Ich dachte an meine Familie und daran, wie ich eben noch am liebsten nach Hause wollte. Das durfte jetzt durch diese Bedrohung nicht enden, mein erst kurzes Leben. Ich hatte noch so viel vor. Warum war ich ausgerechnet hierher versetzt worden? …
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Zehn Minuten Berlin
Wenn man über den Bahnsteig sah, erblickte man tatsächlich nur diesen. Menschenleer… der Zug war gerade wieder ausgefahren, auf dem gegenüberliegenden Einstieg sah man Bauwerkzeuge, Bauwagen, die eine Konstruktion hatten, die es ihnen erlaubte auf der Spurbreite der Gleise entlang zu fahren wie Schienenfahrzeuge, unten Gleisräder, oben klassischer Bauwagen, verkleideter Güterwagen. Die Bauarbeiter waren in diesem Gleiswagen, der Bahnsteig verwaist.
Sehr schön lag er da, dieser Abschnitt des Bahnhofes. Die elektronische Anzeige für Zugrichtungen wies aus: „Bitte beachten Sie die Hinweise zu den Zugverkehrszeiten!“ darunter etwas kleiner: „Zugpendelverkehr“.
Hier verkehrten also heute nur Züge von diesem Gleis, das war erkennbar.
Der leere Bahnsteig, eine Ruhe wie auf einem Vorortbahnhof, aber mitten in dem Moloch Berlin. Die beginnende Wärme des Tages strich wie ein weiter Mantel über den Steig. Sonst alles still und leer, wunderbar ruhig, scheinbar erste Frühstückspause.
Nun erklangen Schritte. Ein zischend schleifendes Geräusch, das sich da die Treppe herauf mühte. Schnell kamen da Füße herauf. Eine einsame Taube, die nach Essbarem suchte, tippelt eilig von der einen Seite zur Anderen, der noch leeren Plattform. Das Berliner Leben hatte sich diese Fläche hier noch nicht zurückerobert.
Endlich kam, wenn man bis nach hinten zu dem Aufstieg schaute, aus dem die Fußtapsen das Ankommen einer Person ankündigten, eine Frisur in Sicht….
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Iskra
Mein Blick bleibt an dem Plakat hängen „Großstadtgeheimnis“, ein halbdokumentarischer Kriminalfilm aus dem Jahre 1952. Halbdokumentarisch! Was für ein Wort. Es spielt Ingrid Lutz. Die kenne ich nicht. Kino „Toni“ am Antonplatz steht heute für anspruchsvolles Programm-Kino und besetzt damit eine Lücke im Wettstreit gegen große Kinopaläste, die jede Woche dem zahlenden Publikum mehrere Filme anbieten.
In diesem Kino hier war ich unzählige Male und habe mich Träumen hingegeben, Märchen gesehen, Weltraumabenteuer oder Indianerfilme mit Gojko Mitić angeschaut, dem hauptberuflichen Indianer in der einstigen DDR.
Wenn ich heute über den Antonplatz blicke, glänzen da Neubauten mit Glasfassaden, wo vorher nur Flachbauten standen. Die Straßenbahn, die kaum hörbar um die Ecke braust, hat in meiner Kindheit in dieser Kurve so laut gequietscht, dass wir sie im Kinderzimmer einige Straßen weiter weg von hier noch hörten. Wenn wir abends unterwegs waren, konnte man sogar Funken fliegen sehen, die vom Stromabnehmer am Draht durch die Luft flogen. Wir staunten dann nur und träumten von Feuerwerk.
Meine beiden Schwestern hatte ich meist links und rechts an der Hand, und wir liefen durch unseren Kiez wie eine unzerstörbare Einheit. Hielten zusammen wie Pech und Schwefel. Heute sehen wir uns, wenn ich Glück habe, zwei- oder dreimal im Jahr. Jeder lebt in seiner eigenen Welt und ist in die Mühlen des Alltags eingebunden. Oft finde ich das traurig. Einmal sagte die Jüngste: „Nur weil wir ein Kinderzimmer geteilt haben, müssen wir ja nicht ein Leben lang befreundet sein.“ Das war für mich ein harter Schlag. Und ich sehe das anders. Meine Schwestern sind meine Familie. Bei diesem Argument hielt mir die andere Schwester einmal entgegen, die zwei Kinder großgezogen hatte, ob ich ihr vorwerfen wolle, dass sie eine eigene Familie hätte. Verrückte selbstgerechte Welt.
Ich gehe hinüber zur Haltestelle. Wie oft habe ich an dieser Station gestanden? Vielleicht bin ich mit ein Grund dafür, dass der Stein in meinem Blickfeld sich gesenkt hat nach tausenden Fußtritten. Er wackelt jetzt zaghaft, als wolle er nicht auffallen und doch durchhalten.
Die Nummern der Straßenbahnen aus meiner Kindheit kenne ich genau. Hier fuhren die 70, 72, 74, die 3. Alle brausten durch die Allee, einige geradeaus in Richtung Alex, die anderen bogen in die kleine Schwester der Allee, die Langhansstraße, ab und zielten auf die Spitze zu… die „Weißenseer Spitze“, wo drei Stadtbezirke zusammen trafen und wo heute unweit davon im alten Delphi die Szenen für eine erfolgreiche Fernsehserie gedreht werden, Moka Efti in der Serie „Babylon“…
Die Bezirke wurden zusammengelegt. Weißenseeer und Prenzlberger sind jetzt allesamt Pankower und die Spitze ist kein Grenzpunkt mehr, sondern ein Mittelpunkt. Ich weiß nur nicht, ob das eine Beförderung ist.
Meine Bahn kommt. Ich steige mit denen ein, die mitfahren wollen, nachdem ein Schwall Menschen ausgespuckt worden war. Einige Kinder rennen, …
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Die Mär von Alma und dem Versucher
Es war einmal ein hübsches Städtchen, begrenzt durch den Fluss im Norden des Landes. Hier lebten und arbeiteten die Menschen friedlich und waren sich gute Nachbarn. Ganz am Rande der Stadt, direkt am Fluss, gab es ein altes Badehaus, in dem der Bader Heinrich und seine Frau Alma ihren Geschäften nachgingen. Ständig kam jemand zum Aderlass, Schröpfen oder Zähne ziehen. Der Bader war für das Grobe zuständig, Alma arbeitete als Hebamme. Man nannte Alma die Engelmacherin, da sie auch so mancher Frau, manchem Mädchen half, ihren guten Ruf zu wahren. Sie brach ungewollte Schwangerschaften gegen hohe Bezahlung ab. Sie war gegen diese Frauen hochmütig, wollte sie doch selbst Mutter werden.
Die Ehe der Baders blieb in all den Jahren kinderlos. Alma wurde darüber hartherzig und böse, haderte mit ihrem Schicksal. Neidisch begaffte sie jeden gewölbten Bauch, jeden Säugling.
Eines Tages suchte die Badersfrau am Flussufer Kräuter. Da trat ein altes Mütterlein auf Sie zu. Alma erschrak, …
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Asche für immer
hier ein Auszug:
… Am Start standen Rosinante mit dem Dünnen auf dem Rücken und Asche mit dem Dicken daneben. Die Leute begannen zu lachen und konnten keinen Blick von den Vieren abwenden. Der Dicke schmeichelte und bettelte Asche an, ihn nicht zu blamieren. Das Tier blieb stehen. Der Dünne gab der Rosinante die Sporen, aber das Pferd wich nicht von des Esels Seite. Der Dicke stieg ab und begann zu laufen, schließlich verabscheute es ja Asche, von ihm getrennt zu sein. Das graue Tier begann jämmerlich zu schreien. Rosinante trabte um ihn herum und legte seinen Kopf auf den des Langohrs. Die Kinder der Schaulustigen zeigten mit ausgestrecktem Finger auf Asche und rieben sich mit der anderen Hand ihre Augen. Der Dicke musste schnell zurück und das Tier liebkosen. Dann gab es Ruhe. Der Dünne streichelte den Hals des alten Pferdes und schüttelte immer wieder den Kopf. …
Wenn Ihr mehr oder alles wissen wollt, klickt oben auf den Link und hört, was passierte …
Hier eine Leseprobe des Textes
Das Zwigespräch
… Ich sah in blaue Augen, die klar wie ruhendes Meer strahlten. Ich fühlte mich verstanden und irgendwie geborgen. Ich rückte einige Zentimeter näher an die Dame auf der Bank. Am liebsten hätte ich mich umarmen lassen.
„Sind Sie hier im Krankenhaus Patientin?“
„Ja…“, lächelte sie mich wieder an.
„Ich finde diese Abschiede-für-immer schrecklich. Ich bin nicht gut darin, loszulassen. Aber ich weiß, dass alles endet und man muss einfach auch weiterdenken und leben.“
„Ja“, nun nickte sie mir zu, ihre Augen blitzten wie bei verschworenen Kindern auf Entdeckungstour.
„Ich habe zwei Schwestern, die für meine Mutti entschieden haben als hätten sie kein Herz. Die Ärztin unterstützte sie und die drei sprachen von Respekt und Liebe und Loslassen. Meinen Sie, dass die drei richtig lagen mit ihrer Entscheidung?“
„Ja…“, sie ergriff meine Hand. Wärme durchströmte mich. Die Haut der Dame war glatt und trocken. Ihr Griff war sanft aber bestimmt. Mit ihrer anderen Hand streichelte sie nun über meinen Handrücken. Mich erfasste Glück. Eine Woge von Kraft und Zufriedenheit rollte durch meine Brust zum Bauch. Ich atmete tief ein und verabschiedete mich. Sie winkte mir zu, als ich mich noch einmal umdrehte. ….
Zwei Geschichten sind zu hören
Signale
und
Der Besuch
… „Aber morgen haben wir nichts vor, oder?“
Sie gab dem Hintern ihres Mannes einen Klaps. Kol juchzte auf.
Die Geste war eine Ausnahme. Seit einiger Zeit hatte Kol den Eindruck, dass sie sich als Paar voneinander entfernten. Seine Frau war einsilbig geworden. Der Alltagstrott hielt keine Abwechslungen bereit. Wenn sie abends nebeneinander auf der Couch lümmelten, schlief sie nach wenigen Minuten ein. Das Schnarchen Vicis übertönte die Dialoge der Filme und störte später im Bett beim Einschlafen.
Während er darüber nachdachte, hörte er ein Trällern aus dem Bad. Das Wasser plätscherte ungenutzt in die Recyclinganlage und der Schaum würde sicher für Monate reichen.
Er rief: „Vici, mach jetzt, spül dich ab, singen kannst du später!“
Ein weiterer Blitz hatte sich entladen, Vici musste auf der Hut sein, nichts war unangenehmer als die schlechte Stimmung ihres Gatten.
Kol hatte einen Besuch in der Karaoke-Bar geplant, dort wollte er nicht nur Freunde treffen.
Seine Frau hatte gemurrt, sich aber gefügt. …